Seit 700 Jahren sind die Menschen fasziniert von dem Werk des italienischen Dichters Dante Alighieri. Noch heute erscheinen jährlich weltweit an die 50 Übersetzungen seines mit Abstand bekanntesten Buches, die „Göttliche Komödie“. Der Autor beschreibt darin seine Reise durch die Unterwelt bis hinauf in die himmlischen Sphären – sozusagen von den Sünden der Welt zum ewigen Heil. Für die enorme Wirkungsgeschichte, die das Werk seit seinem Erscheinen im Mittelalter bis heute ausgelöst hat, dürfte jedoch weniger die am Ende stehende Begegnung des Autors mit dem Göttlichen, sondern vielmehr (neben seiner Verfasstheit in italienischer Volkssprache) die im Werk beschriebene Reise durch die sich über neun Kreise in die Tiefe erstreckende Unterwelt verantwortlich sein. Ein „Höllentrip“, der zwei Tage und die Nacht dazwischen dauert und in dem Dante eine enorme Anzahl aus Mythologie und Geschichte bekannte Gestalten trifft – von Homer und Ovid über Kleopatra bis hin zu jenen Päpsten, die (für Dante) ihr Amt verletzten und persönlichen politischen Gegnern. (Dante selbst lebt seit 1302 im Exil.)
Gemeinsam ist diesen Verdammten, dass jeder von ihnen über eine an seine Sünde(n) subtil angepasste Strafe endlos gerichtet wird. Jene, die beispielsweise Kirchenämter gegen Bestechung vergaben werden brennend mit dem Kopf nach unten in Felslöcher gesteckt, während, die, die von Dante als Zwietrachtstifter und Glaubensspalter bezeichnet werden, sich im achten Höllenkreis zerstückeln lassen müssen. Noch tiefer, im letzten Höllenkreis, sitzen die Verräter – eingefroren im ewigen Eis – sowie Luzifer selbst, der in seinen drei Mäulern, die (nach Sicht Dantes) drei Erzverräter zermalmt. An der Seite des griechischen Dichters Vergil – der ihm zu Beginn des ersten von insgesamt 100 Gesängen (drei Mal 33 plus jenem Einleitungsgesang) im Wald begegnet – gelangt Dante über den Körper Luzifers zum Läuterungsberg, bevor es an der Seite seiner idealisierten Jugendliebe Beatrice und zuletzt geleitet vom Heiligen Bernhard von Clairvaux weiter ins Paradies zu einer Vision der göttlichen Dreieinigkeit geht. Wirklich beschreiben kann Dante diese freilich nicht, denn wer vermag dies schon. Und eben hierin liegt wohl einer der Gründe, die gerade die Hölle über Jahrhunderte für die christliche Glaubenslehre so attraktiv machten. Die bildlichen Darstellungen scheinen hier schier grenzenlos.
Die Vorstellung von der Hölle entwickelt sich (weiter)
Dante ist dementsprechend natürlich bei weitem nicht der einzige, der sich derart ausgiebig über die Hölle ausgelassen hat. Die Frage, wohin gelangen wir, wenn wir auf Erden vergehen, beschäftigt die Menschen vermutlich seit jeher und nimmt sich von Kultur- zu Kulturkreis unterschiedlich aus. So gab es in der mesopotamischen Höllenvorstellung so genannte Edimm – eine Art Außenseiter der Unterwelt, die nicht zur Gemeinschaft (das Leben in der Hölle unterschied sich für viele Kulturen nicht wesentlich von dem auf der Erde) gehörten und zwar nicht gequält, jedoch verbittert und wütend umherirrten. Im Gegensatz spricht der Hinduismus von einem Ort der Qualen, wo die Verstorbenen alles Mögliche bis zur Reinkarnation zu erdulden haben. Anders als in der sich über die Zeit entwickelten christlichen Vorstellung verbleibt in den Verstorbenen jedoch ein göttliches Element des Karmas, das in ein neues Leben helfen kann. Wirklich aus und vorbei ist es allerdings für jene, die sich in der ägyptischen Kultur zu sehr versündigen. Für diese gibt es einen so genannten zweiten Tod, die endgültige Vernichtung, bei der sie der Folter unterzogen werden, um die Einheit der Person zu zerreißen und sie letztendlich zu Nichts werden zu lassen. Bestimmte dieser Folterformen werden sich später auch in der christlichen Religion wiederfinden.
Tatsächlich ist die Vorstellung der christlichen Hölle, aus der Dante seine Erzählung speist, eine, die sich – nicht zuletzt in Anlehnung an eben derlei Traditionen anderer Kulturen – erst entwickeln muss. Vor allem die hebräische Hölle sei lange Zeit im Vergleich zu anderen Glaubensvorstellungen am Materialistischen, schreibt Georges Minois, Literatur- und Kulturwissenschaftler, in seiner Kulturgeschichte zur Unterwelt. Seelen – gute und böse – liegen im Staube und empfinden noch keiner spezifischen Differenzierung unterzogen nichts mehr. Auch zur Zeit Jesus hätten noch mehrere unterschiedliche Auffassungen einer Hölle existiert. Erst mit den Evangelien, so Minois wurde die Idee der Apokalypse bestärkt. Für den Kulturwissenschaftler nicht zuletzt eine Konsequenz von der Zerstörung Jerusalems. Doch die Beschreibungen zur Hölle sind in dieser Zeit noch recht vage und der Wunsch des Volkes mehr zu wissen war scheinbar groß. Detailliertere Beschreibungen finden sich in den Petrus Offenbarungen sowie später in der Paulus Apokalypse (auch Offenbarung des Paulus), auf die sich auch Dante beziehen wird. Höllenbeschreibungen erscheinen zunächst also vor allem im Zuge der akryphischen und apokalyptischen Literatur. Die Kirchenväter – und später die Scholastiker – werden sich bemühen das in den verschiedenen Texten Beschriebene mit der Bibel in Einklang zu bringen und für Ordnung und Struktur sorgen. Vor allem im frühen Mittelalter entwickelt sich eine Visionsliteratur, in der Mönche von Reisen in Form von Visionen in die Unterwelt berichten.
In alle Ewigkeit?
Im Gegensatz zu diesen oft wirren Aufzeichnungen der Mönche entwirft Dante ein mit logischer Strenge geordnetes kohärentes intellektuelles Gebäude der Hölle, in dem die Sünder zu ewigen Leiden verdammt sind. Gerade diese Ewigkeit ist es jedoch, die in der christlichen Religion immer wieder Diskussionen hervorruft. So lässt sich bereits für Clemens von Alexandrien, im zweiten Jahrhundert nach Christus, die Vorstellung einer ewigen Hölle nicht mit der Güte Gottes in Einklang bringen.
Bevor die Philosophen des 18. Jahrhunderts und die liberalen Christen des 19. Jahrhunderts derartige (über die Jahrhunderte immer wieder auftauchende) Zweifel erneut verstärkt aufgreifen und aufkeimen lassen, kommt es allerdings zu einer Verschärfung von Seiten der Kirche. Für diese erweist sich die Hölle nicht nur als besonders geeignet spezielle Verfehlungen zu geißeln (und Gegner zwecks politischer Zwecke in die Hölle zu versetzen), sondern auch als Instrument zur Aufrechterhaltung der sozialen Ordnung. Laut Minois wurden nie so viele Bücher zur Hölle geschrieben wie im 19. Jahrhundert, als die Angst beim Volk, das jahrhundertelang mit den Darstellungen von den Qualen der Hölle regelrecht traumatisiert wurde, bereits zu verblassen begann. Die Hölle hat sich zunehmend in unser irdisches Sein verlagert. Eine Ansicht, die heute zu den verbreitetsten zählt. Schon bei Sartre heißt es beispielsweise in der „Geschlossenen Gesellschaft“: „Die Hölle, das sind die anderen“. Dass es auch ohne Rost, auf dem man gegrillt wird, und ohne Schwefeldämpfe geht, davon war auch bereits der römische Dichter und Philosoph Lukrez überzeugt. Schon dieser spricht von einer existenziellen Hölle, die man auf Erden lebt. Gänzlich anders Vergil, dessen Höllenkonzeption Minois als poetisch volkstümlich einordnet und sie zur Projektion des Wunsches nach Vergeltung und Gerechtigkeit, wo die bösen Opfer pittoreske Strafen erleiden müssen, werden lässt. Insofern ist es wenig verwunderlich (begreift man die „Divina Commedia“ auch als eine Abrechnung mit politischen Widersachern, die für das Leben des Autors im Exil verantwortlich zeichnen), dass Dante den römischen Autor Vergil als Reisebegleiter wählt. Nicht zuletzt hat dieser mit seiner „Aeneis“ selbst eine Reise in die Unterwelt beschrieben. Viele andere werden ihm über die Jahre folgen. Von Dante über Milton, Rabelais und Cyrano de Bergerac (der als sarkastische Antwort auf das viel disskutierte Platzproblem die vom Höllenfeuer flüchtenden Menschen für die Erddrehung veratwortlich macht) bis hin zu Wiliam Blake. In „The Marriage of Heaven and Hell“ beschreibt dieser, bezugnehmend auf Dante, einen Besuch in der Hölle – verarbeitet das Thema aber auch in seinen Bildern.
In bildender Kunst und Film
Gerade die bildende Kunst hat unzählige Höllenvariationen hervorgebracht. Zu den bekanntesten gehören vermutlich jene von Hieronymus Bosch. Aber auch Pieter Brueghel d. Ä., Luca Signorelli, Jean Duc de Berry, Auguste Rodin oder Gustave Doré, der im 19. Jahrhundert eine Reihe von (Buch-)Illustrationen zu Dantes Inferno anfertigte, haben bekannte Höllendarstellungen geschaffen. Heute begegnet man Höllenvorstellungen vor allem im Science-Fiction-Film. Aber auch die Serienwelt hat – von „Preacher“ über „Good Omens“ bis „Luzifer“ – zunehmend wieder das Thema für sich entdeckt. Blickt man jedoch genauer hin, so erweisen sich diese Höllen als wenig mit der lange Zeit vom Christentum verkündeten, und damit auch mit jener von Dante, ident. Es sind typische Höllen des 20. Jahrhunderts, die über die BIldschirme flimmern. Die Oberhand über die Hölle gewinnt der, der sich als der trickreichste und mächtigste erweist, während andere sich selbst aufgrund ihrer üblen Taten dem eigenen schlechten Gewissen erliegend zum Leben in der Hölle verdammen.
Quellen:
Minois, Georges: Hölle – kleine Geschichte der Unterwelt. Herder Spektrum. Band 4778: Freiburg im Breisgau 2000.Vorgrimler, Herbert: Geschichte der Hölle.Wilhelm Fink verlag: München 1993
Mehr zu Dante im Dante-Jahr:
http://www.dante.at/
https://iicvienna.esteri.it/iic_vienna/de
https://italiana.esteri.it/italiana/en/
Titelbild: Dante und sein berühmtes Epos (Fresko von Domenico di Michelino in Santa Maria del Fiore, Florenz 1465) Quelle: Wikipedia (gemeinfrei)
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